Amina Abdulkadir – GBS Schweiz https://gbs-schweiz.org Aufklärung im 21. Jahrhundert Sun, 20 Apr 2014 12:11:29 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.6.1 Kluge geben nach – oder auch nicht. https://gbs-schweiz.org/blog/kluge-geben-nach-oder-auch-nicht/ Sat, 28 Sep 2013 10:06:05 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=4263 Viele Menschen haben die Tendenz jegliche Geschehnisse so zu interpretieren, dass diese die eigenen Überzeugungen stützen. Dabei verhalten wir uns wie im Krieg; die Zitadelle unserer Überzeugungen wird gegen alle möglichen Angriffe beschützt. Doch ist dieses Verhalten wirklich rational vertretbar? Muss denn ein gerechtfertigter Glaube wirklich immer zutreffen und ein nicht gerechtfertigter immer falsch liegen? Betrachten wir die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitstheorie nach Bayes, so wird schnell klar, dass es für jede Erwartung mindestens eine Gegenerwartung gibt. Das sagt aber noch nichts aus über deren Qualität oder Aussagekraft.

Hyothesen-Testung nach Bayes

Hypothese 1: Die Münze wird in 95% der Fälle Kopf, in 5% Zahl zeigen.
Hypothese 2: Die Münze wird in 50% der Fälle Kopf, in 50% Zahl zeigen.

Mittels dem Satz von Bayes lässt sich das Verhältnis der beiden Hypothesen bei gegebenem Ereignis Eerrechnen:

\frac{P(H_{1}|E)}{P(H_{2}|E)} = \frac{P(H_{1})*P(E|H_{1})}{P(H_{2})*P(E|H_{2})}
Das Wahrscheinlichkeitsverhältnis der beiden Hypothesen \frac{P(H_{1})}{P(H_{2})} wird dabei mit dem Bayes-Faktor \frac{P(E|H_{1})}{P(E|H_{2})} multipliziert, anhand von welchem wir die Plausibilität der beiden Hypothesen relativ zueinander beurteilen können. Zeigt die Münze Kopf [E = Kopf], entspricht dies \frac{P(Kopf|H_{1})}{P(Kopf|H_{2})} = 0.95 / 0.50 = 1.9. Ein Bayes-Faktor grösser 1 bedeutet, dass H_{1} durch den gegebenen Datensatz mehr unterstützt wird als H_{2}. Nun wissen wir aber, dass bei einem grösseren Datensatz H_{2} öfter zutrifft als H_{1}.

Nehmen wir also noch eine dritte Hypothese hinzu, mit der wir die erste vergleichen.

Hypothese 3: Die Münze wird in 99% der Fälle Kopf; in 1% Zahl zeigen.

Wir erhalten über \frac{P(H_{1}|E)}{P(H_{3}|E)} = \frac{P(H_{1})*P(E|H_{1})}{P(H_{3})*P(E|H_{3})} den Bayes-Faktor \frac{P(Zahl|H_{1})}{P(Zahl|H_{3})} = 0.05 / 0.01 = 5.00. Ein Bayes-Faktor ab 5.00 bedeutet, dass H_{1} durch den gegebenen Datensatz merklich stärker unterstützt wird als H_{3}.

Zum Bayes-Faktor:

  • Das Kontinuum des Bayes-Faktor ergibt immer einen bestimmten Wert. Inwiefern dieser relevant ist, liegt im Ermessen der Person, die ihn und die beiden verglichenen Hypothesen beurteilt.
  • Mathematik-Zugewandte haben sicherlich bemerkt, dass man – je nachdem welche Hypothese man in den Zähler respektive in den Nenner der Gleichung setzt – unterschiedliche Werte erhält. Dies liegt daran, dass man im einen Fall der Frage „Wie plausibel ist A in Relation zu B?“ und im anderen Fall der Frage „Wie plausibel ist B in Relation zu A?“ nachgeht.
  • Die errechneten Werte des Bayes-Faktors, sogenannte Bits of Evidence, sind je nach Wertebereich wie folgt zu interpretieren: [0, 1.6] unwesentlich; [1.6, 3.3] wesentlich; [3.3, 5.0] solide; [5.0, 6.6] sehr solide; [> 6.6] massgeblich.

Der entscheidende Punkt ist nicht, ob ein einzelnes, selektiv betrachtetes Ereignis unseren Erwartungen entspricht und damit unsere Überzeugungen stützt oder nicht. Dies ist einer der Gründe warum anekdotisches Wissen gerade bei folgeschweren Entscheidungen nicht ausschlaggebend sein sollte. Vielmehr ist entscheidend wie viele relevante Ereignisse von unseren Erwartungen abweichen und ob es alternative Realitäts- und Glaubensmodelle gibt, die zuverlässiger sind als unser bisheriges.

Warum fürchten wir uns so sehr vor gegensätzlichen Argumenten, die vordergründig unserer Hypothese widersprechen? Nur durch Prüfung aller bestehenden und möglichen Modelle im Bezug auf eine bestimmte Ereignismenge können wir entscheiden, wie gut unser Modell ist. Gleichwohl müssen wir bereit sein unseren Glauben runter- wie auch hochzuschrauben, wenn sich entsprechende Ereignisse zeigen. Es ist wichtig sich über gegensätzliche Evidenz zu freuen und sich ihr anzunehmen; sie zu prüfen und das eigene Modell entsprechend zu ändern.

That which can be destroyed by the truth should be.

– P. C. Hodgell

Anstatt Anomalien einfach zu ignorieren und unter den Tisch zu kehren, sollte möglichst viel Aufmerksamkeit darauf gelegt werden. Je mehr Aufmerksamkeit vorhanden ist, desto mehr Menschen können sich der Daten annehmen und diese – wenn möglich – verifizieren oder falsifizieren. Der wissenschaftliche Optimalfall wäre beispielsweise, dass eine Studie reproduziert und dadurch noch mehr Evidenz generiert wird. Doch irgendwie scheint es nicht akzeptiert zu sein, Studienergebnisse öffentlich als falsch hinzustellen. Eine zurückhaltende Fehlerkultur mindert die Qualität von wissenschaftlicher Arbeit. Nicht nur das, sie verhindert ganz allgemein aufklärerische Prozesse.

Die Einen glauben der Wissenschaft, die Anderen nicht; kaum einer redet aber darüber und übt konstruktiv Kritik daran. Eine der wenigen Personen, die – notabene unbeabsichtigt – Kritik übte an bestimmten wissenschaftlichen Resultaten, ist Thomas Herndon. Es dauerte nicht lange bis auch seine Resultate öffentlich wurden und er zu mehreren Interviews und Fernsehauftritten eingeladen wurde. Wären die Resultate der von ihm kritisierten wissenschaftlichen Arbeit nicht derart öffentlich gelobt und vielfach zitiert worden, wäre er vielleicht gar nicht darauf aufmerksam geworden.

Wie exakt ist Ihr Modell?

Ziemlich? Sehr? Aber wohl kaum zu 100%. Und genau deshalb ist es auch völlig in Ordnung, sogar zu erwarten, dass ab und an ein gegensätzliches Ereignis den Weg zu Ihnen und Ihrem Modell findet.

Aber was bedeutet das nun? Es bedeutet, dass Sie Ihre Glaubensgrade entsprechend der Evidenzlage anpassen sollten, entsprechend ihrem Erwartungswert. Denn weitere Evidenz wird sich Ihnen zeigen und Sie können Ihren Glauben dann immer noch wieder hochschrauben. Denn wie ist das in einer fremden Stadt? Diejenigen, die sich zu Fuss schrittweise an ihr Ziel tasten, kommen früher am richtigen Ort an als jene, die mit dem Taxi in die Fehlleitung rasen.

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Können wir überhaupt etwas tun? – Das Prinzip der Kosteneffektivität und deren Folgen für unser Handeln https://gbs-schweiz.org/blog/koennen-wir-ueberhaupt-etwas-tun-das-prinzip-der-kosteneffektivitaet-und-deren-folgen-fuer-unser-handeln/ https://gbs-schweiz.org/blog/koennen-wir-ueberhaupt-etwas-tun-das-prinzip-der-kosteneffektivitaet-und-deren-folgen-fuer-unser-handeln/#respond Tue, 17 Sep 2013 05:46:53 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=5075 In der Serie Eine Welt ohne Armut – Utopie oder Möglichkeit? wurden Ansatzpunkte aufgezeigt, wie Armut minimiert oder gar in die Geschichtsbücher verbannt werden kann. Nicht nur deren Wirksamkeit, sondern auch ihre Realisierbarkeit sind schwierig einzuschätzen. Das sollte uns jedoch nicht zur Inaktivität verleiten. Denn dies entspräche dem Evaluability Bias – der kognitiven Verzerrung, dass man Ziele verwirft, weil deren Erreichung schwierig scheint. Man könnte hier auch durchaus von einer Erweiterung des Omission Bias sprechen – der kognitiven Verzerrung, dass etwas Schlechtes nicht zu verhindern sich davon unterscheide etwas Schlechtes zu tun.

Wenn wir also anerkennen, dass es Wege gibt die Armut auf der Welt zu bekämpfen oder zumindest zu verringern, haben wir dann nicht die ethische Verpflichtung dies auch zu tun?

Der australische Ethiker und Philosoph Peter Singer (und Autor des Buches und Mitgründer der gleichnamigen Organisation The Life You Can Save) hat zu dieser Frage bereits 1997 seinen StudentInnen ein eindrückliches Gedankenexperiment vorgestellt.

Das ertrinkende Kind
Stellen Sie sich vor, Ihr Schul- oder Arbeitsweg führt Sie an einem ruhigen Teich vorbei. Eines Morgens sehen Sie in dem Teich ein Kind, das zu ertrinken droht. Es wäre für Sie ein Leichtes, in den Teich zu gehen und das Kind zu retten, doch Sie würden dadurch Ihre Kleidung ruinieren und müssten sich für Ihre Abwesenheit bei der Schule oder bei der Arbeit entschuldigen.
Angesichts dieser Faktenlage: Haben Sie die ethische Verpflichtung das Kind zu retten? Die grosse Mehrheit unter Ihnen – wie auch der StudentInnen Peter Singers – bejaht diese Frage. In der Gesetzgebung spricht man schliesslich auch von „unterlassener Hilfeleistung“.
Gleichzeitig erkennt die Ethik des 21. Jahrhunderts (und damit wohl auch Sie selbst) an, dass Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Wohnorte gleichwertig sind.
Doch wenn man nun gedanklich dieses ertrinkende Kind in dem Teich in Ihrer Wohngegend in ein anderes Land oder gar einen anderen Kontinent transportiert und damit höchst wahrscheinlich dessen Nationalität verändert, so schwindet bei Singers StudentInnen das Gefühl der ethischen Verpflichtung zur Hilfe. Und das obwohl wir nicht nur gedanklich, sondern real zum Preis einer CD, einigen Kaffees oder eines neuen Pullovers das Leben hilfsbedürftiger Menschen merklich verbessern oder gar retten könnten.

Der Vergleich von Produkten oder Dienstleistungen (wie Auto, Massage oder Auslandsreise), die wir in unserem „westlichen“ Alltag beziehen, und möglichen Hilfsaktionen sind uns allen bekannt und oft misstrauen wir diesen Gegenüberstellungen. Gerade deshalb ist es erstaunlich, dass es erst seit wenigen Jahren Organisationen gibt, welche die Kosteneffektivität als bedeutendes Merkmal von Hilfsorganisationen wissenschaftlich untersuchen und beurteilen.

We seek charities that are „cost-effective“ in the sense of changing lives as much as possible for as little money as possible.

– Givewell

Givewell ist eine gemeinnützige Organisation, welche sich dem Zweck widmet, ausserordentliche Hilfsorganisationen zu identifizieren. Die jeweiligen Untersuchungen werden vollumfänglich publiziert. Givewell ist dabei bestrebt, vertiefte und umfassende Beurteilungen hervozubringen, die eine Aussage darüber zulassen, wie viel Gutes die jeweilige Hilfesorganisation pro Geldeinheit erreicht. Nur jene Hilfsorganisationen, welche sich als aussergewöhnlich kosteneffektiv herausstellen, werden von Givewell empfohlen.

Giving What We Can ist die zweite erwähnenswerte Organisation. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich der Gesundheit, da diese grossen Einfluss auf die Lebensdauer und -qualität der Betroffenen hat und bereits viel wissenschaftliche Forschung dazu vorliegt. Andere Bereiche (wie politische Aktivitäten oder Bildung), die schwieriger zu quantifizieren sind, versucht Giving What We Can ebenfalls zu untersuchen, gibt jedoch keine offiziellen Empfehlungen dazu ab, weil eine Gegenüberstellung nicht wissenschaftlich sauber durchgeführt werden kann.

Unter den empfohlenen Hilfsorganisationen finden sich die Against Malaria Foundation (AMF) und Deworm the World. AMF stellt langlebige mit Insektiziden behandelte Netze bereit, lässt sie mit den benötigten Informationen zu deren Benutzung abgeben und untersucht danach über Jahre hinweg deren Anwendung und Nutzen. Deworm the World unterstützt die Regierungen von Kenya und Indien bei der Umsetzung von Entwurmungsprogrammen und versucht solche Bestrebungen auch in Südamerika, Asien und Afrika voranzutreiben. Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass gerade Massnahmen gegen Malaria und Wurminfektionen sehr kosteneffektiv sind, da mit wenigen Mitteln schwerwiegende, teilweise lebensbedrohliche Folgen verhindert werden können.

Mit der Organisation Effective Fundraising haben Kosteneffektivität und Wissenschaftlichkeit nun auch ihren Weg in die Kapitalbeschaffung gefunden. Ihr Ziel ist es, für AMF und The Humane League (eine der zwei kosteneffektivsten Tierrechts-Organisationen) so viel Spendengelder wie irgend möglich zu sammeln.

Kombiniert man also Kosteneffektivität und ethische Verpflichtung zur Spende, wird schnell klar, dass oft die falschen Fragen gestellt werden. Es geht nämlich nicht darum zu klären, warum Sie spenden sollen oder wieviel, sondern wohin. Antworten darauf liefern Ihnen die Empfehlungen von Giving What We Can und die Empfehlungen von Givewell.

Sagen Sie heute noch

Ich habe die Informationen.
Ich habe die finanziellen Mittel.
Ich habe die Organisationen.

Und spenden Sie heute noch, damit Sie morgen sagen können

Ich habe die Welt verbessert.

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Zwischen Einstein und Ramanujam – Wie in jedem Kind ein Genie schlummert https://gbs-schweiz.org/blog/wie-in-jedem-kind-ein-genie-schlummert/ https://gbs-schweiz.org/blog/wie-in-jedem-kind-ein-genie-schlummert/#respond Fri, 16 Aug 2013 15:08:58 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=4747 Wie nicht anders zu erwarten, scheiden sich auch in der Bildungspolitik die Geister. Eine grosse Mehrheit der EntscheidungsträgerInnen internationaler Politik sind der Meinung, dass man die Kinder einfach in ein Schulzimmer zu setzen braucht, eine gut ausgebildete Lehrperson hinzufügt und sich der Rest dann von selbst erledigen wird.

Die Supply Wallahs

Banerjee und Duflo nennen Personen mit dieser Ansicht „Supply Wallahs“ – die Verfechter der Angebotsseite. Diese Position ist wiederum in den Millennium-Entwicklungszielen der UNO wiederzufinden:

Primärschulbildung für alle: Bis zum Jahr 2015 ist sichergestellt, dass Kinder in der ganzen Welt, Mädchen wie Jungen, eine Primärschulbildung vollständig abgeschlossen haben.

Diese Sichtweise scheint sich durchgesetzt zu haben, denn in fast allen Ländern ist die Schule kostenlos (zumindest auf Primarschulstufe) und die meisten Kinder sind auch eingeschrieben. So haben Banerjee und Duflo in ihrem Datensatz von 18 Ländern sogar unter den extrem armen Menschen eine Immatrikulationsrate von über 80 Prozent in der Hälfte der Länder vorgefunden.

Die Milleniumsziele und viele bildungspolitische Massnahmen der Supply Wallahs gehen davon aus, dass die Qualität der Bildung und die des Lernens mit der schulischen Einschreibung und einem Abschluss Hand in Hand gehen. Leider präsentiert sich die Realität ein bisschen komplizierter.

Wie schlecht dürfen LehrerInnen sein?

Die Konklusion einer Studie der Weltbank über die Abwesenheitsraten von Lehrpersonen in Bangladesch, Ecuador, Indien, Indonesien, Peru und Uganda hat gezeigt, dass diese im Durschnitt an einem von fünf Tagen nicht anwesend sind. In Indien und Uganda ist diese Zahl noch höher. In Indien hat sich herausgestellt, dass sogar Anwesenheit der LehrerInnen diese oftmals noch anderen Aktivitäten nachgehen und sich nicht auf den Unterricht konzentrieren. Insgesamt verbringen Lehrpersonen in Indien nur die Hälfte ihrer vorgesehenen Zeit vor ihren Schulklassen. Die Folgen davon sind unschwer zu erörtern.

Pratham untersuchte diesbezüglich 700’000 Kinder in verschiedenen, zufällig ausgesuchten indischen Dörfern (über 1’000 Kinder pro Dorf) auf ihre schulischen Fähigkeiten. Fast 35 Prozent der sieben- bis vierzehnjährigen Kinder konnten keinen einfachen Absatz und knapp 60 Prozent keine einfache Geschichte lesen. Dasselbe trifft auf mathematische Kenntnisse zu. Ähnliche Resultate wurden unter anderem in Pakistan und Kenia vorgefunden.

Die Demand Wallahs

Eine zweite Position präsentiert einen anderen Lösungsvorschlag, welcher nicht das Angebot in den Vordergrund rückt, sondern sich auf die Nachfrage fokussiert. Diese sogenannten „Demand Wallahs“ weisen darauf hin, dass durch die alleinige Bereitstellung von Schulen kein grosser Nutzen entsteht, solange nicht gleichzeitig auch eine Nachfrage nach Schulbildung vorhanden ist. Ihrer Meinung nach ist die Qualität der Bildung in gewissen Ländern so gering, weil sich die Eltern nicht genügend um die schulischen Aktivitäten ihrer Kinder kümmern, solange sie keinen Vorteil darin erkennen. Wenn der längerfristige finanzielle Nutzen aus der Schulbildung sichtbar ist, wird automatisch auch die Nachfrage nach Privatschulen oder – wo diese zu teuer sind – die Nachfrage nach öffentlichen Schulen steigen und das Angebot quantitativ als auch qualitativ zunehmen.

Betrachtet man dabei Indien in Bezug auf die Grüne Revolution oder die Verlagerung der Call Centers in diese Region, so hatte die Nachfrage eindeutig einen Einfluss auf die Schulbildung in diesen Gebieten. Sie stieg in jenen Regionen an, in welchen die Menschen eine bessere Ausbildung benötigten, um auf dem neu entstandenen Arbeitsmarkt erfolgreich mithalten zu können. Weiter konnte Robert Jensen einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg an Call Centern und dem Anstieg der Immatrikulierungsrate von Mädchen erkennen, da die Nachfrage nach Frauen in diesem Beruf sehr gross war und diese in diesen Positionen weniger diskriminiert wurden.

Daraus folgern Demand Wallahs, dass staatliche Investitionen indirekt die Nachfrage nach Bildung vergrössern können durch mehr wirtschaftliche Attraktivität. Da so die Bildung ein konkretes Ziel verfolgt, steigt der Druck auf Lehrpersonen; ein kompetitiver Markt von privaten und öffentlichen Schulen sorgt zudem für eine weitere Verbesserung der schulischen Zustände.

Darf schulische Ausbildung nur eine Investition sein?

Es ist wohl unbestritten, dass der ökonomische Nutzen der Schulbildung eine wichtige Rolle für Eltern spielt, aber es gibt auch viele andere Dinge, welche ebenso in die Entscheidung der Eltern miteinfliessen. So zum Beispiel deren Hoffnungen bezüglich der Zukunft oder deren Erwartungen und Grosszügigkeit gegenüber ihrem Kind.

Hier würden Supply Wallahs aufhorchen und darauf hinweisen, dass genau dies der Grund ist, weshalb man Schulen auch ohne die nötige Nachfrage errichten soll. Man dürfe nicht den Eltern alleine die Entscheidung überlassen, ob ihr Kind nun ausgebildet sein sollte oder nicht. Diese könnten nur schon aus finanziellen Gründen (z.B. Geiz oder auch, weil sie ihre Kinder lieber auf der eigenen Farm arbeiten lassen wollen) ihren Kindern die Schule verunmöglichen. Die Regierung solle deshalb für alle Familien freien Zugang zu Bildung ermöglichen und den Eltern Anreize schaffen.

Es hat sich in verschiedenen Studien herausgestellt, dass das Einkommen der Haushalte eine wichtige Rolle spielt. So hat ein Kind aus einem armen Haushalt im Durchschnitt eine geringere schulische Ausbildung als ein Kind aus einer reicheren Familie. Dies trifft auch dann zu, wenn der langfristige ökonomische Nutzen derselbe ist. Da die Anzahl der Kinder oftmals vom Einkommen abhängig ist, steigen die Ausgaben pro Kind in einer reicheren Familie verhältnismässig zum Gesamtkonsum schneller an. Oder etwas provokanter ausgedrückt: Ein talentiertes Kind aus einer armen Familie hat nicht dieselben Bildungs- und Karrierechancen wie ein weniger talentiertes Kind aus einer reicheren Familie.

Die Schule ist entscheidend

Wie zu Beginn des Textes erwähnt, so hat eine weltweite Studie über die Abwesenheitsrate von Personen im Bildungs- und Gesundheitswesen gezeigt, dass Lehrpersonen in Privatschulen in Entwicklungsländern im Schnitt öfters anwesend sind, als deren KollegInnen in öffentlichen Schulen und die indische Research-Organisation ASER hat herausgefunden, dass knapp 50 Prozent der SchülerInnen an öffentlichen Schulen in der fünften Klasse nicht in der Lage sind, die ihnen vorgelegten Texte zu lesen; im Gegensatz zu 32 Prozent der SchülerInnen aus Privatschulen. Auch in Pakistan zeigen Studien das selbe Bild: So sind Kinder aus Privatschulen in der dritten Klasse den Kindern aus öffentlichen Schulen im Englisch um eineinhalb Jahre voraus. Im Fach Mathematik sogar um zweieinhalb Jahre. Das ist nicht alleine darauf zurückzuführen, dass vor allem reiche Familien ihre Kinder in Privatschulen schicken; zum einen sind die Kosten der Privatschulen dank der grossen Nachfrage stark gesunden; zum anderen ist der Leistungsunterschied zwischen Privat-SchülerInnen und jenen an öffentlichen Schulen fast zehn Mal grösser als der Unterschied zwischen SchülerInnen der reichsten und der tiefsten sozioökonomischen Schicht.

Kinder in Privatschulen lernen mehr, doch auch sie könnten noch effizienter unterrichtet werden. Woran liegt es, dass auch viele Privatschulen den Anforderungen nicht gerecht werden? Der Markt scheint auch hier nicht so zu funktionieren wie er eigentlich sollte. Vielleicht liegt zu wenig kompetitiver Druck auf den Schulen oder die Eltern sind diesbezüglich nicht genügend informiert. Einzigartig ist auf jeden Fall folgender Kernpunkt: Es besteht ein grosser Unterschied bezüglich der Erwartung von Seiten der Gesellschaft an das Bildungssystem und dem tatsächlichen Resultat, welches private und die öffentliche Schulen anbieten.

Die Rolle der Eltern und des Umfeldes

In einer Studie in Madagaskar zeigte sich, dass die Eltern falsche Informationen bezüglich dem abgeschlossenen Bildungsniveau und dem zu erwartenden Einkommen besitzen. Bei einem Abschluss auf Primarschulebene erwarten sie eine Erhöhung von 6 Prozent, für jedes Jahr auf der Sekundarstufe eine Erhöhung von 12 Prozent und für jedes Jahr in der Maturitätsstufe eine Erhöhung von 20 Prozent. In Marokko fand man ähnliche Werte. Banerjee und Duflo konnten aufzeigen, dass sich das zukünftige Einkommen für jedes investierte Jahr mehr oder weniger proportional erhöht. Dies trifft auch auf Menschen zu, welche danach keinem Beruf im formellen Sektor nachgehen. Die Eltern sehen also eine Armutsfalle wo gar keine ist. Diese falsche Ansicht sorgt oftmals dafür, dass sich arme Eltern mit mehreren Kindern auf ihr „hoffnungsvollstes“ Kind fokussieren und das meiste Geld in die bestmögliche Ausbildungsstufe dieses  Kindes investieren, anstatt das Geld auf die Ausbildung aller Kinder zu verteilen und somit deren Grundbildung zu sichern.

In Kolonialzeiten hatten Schulen vor allem den Zweck lokale Eliten auszubilden und die Distanz zwischen diesen und der restlichen Bevölkerung zu erhöhen. Auch heute findet man in vielen Ländern diskriminierende Verhältnisse im Bildungssystem. Kinder aus traditionell benachteiligten Bevölkerungsgruppen (in Indien beispielsweise entsprechend der Kastenzugehörigkeit) erhalten nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Mädchen noch viel mehr als Knaben. Daraus resultiert eine doppelten Armutsfalle, da Eltern als auch Lehrer nicht in Kinder investieren, welche nicht alle Erwartungen und Kriterien erfüllen. Diese Haltung hat natürlich auch Auswirkungen auf das Selbstvertrauen des Kindes, welches dadurch extrem geschwächt wird und das schlechte Abschliessen in der Schule auf eigenes Verschulden und nicht dasjenige der Eltern und Lehrpersonen zurückführt.

Der Grund, weshalb private Schulen gegenüber öffentlichen Schulen in Bezug auf die Leistung eines durchschnittlichen Kindes nicht wirklich merklich besser abschneiden, liegt in der Gestaltung des Bildungssystems. Dieses legt den Fokus auf einen kleinen Anteil der SchülerInnen und konzentriert sich auf die Bildung einer Elite, anstatt allen Kindern die bestmögliche Ausbildung anzubieten. Viele talentierte SchülerInnen werden deshalb vernachlässigt und haben keine Chance auf eine vollständige Ausbildung.

Wie bekämpfen wir also diese Missstände?

Erfolgreiche Versuche in verschiedenen Ländern, unter anderem auch den USA, zeigen Mittel, wie gegen diese Probleme vorgegangen werden kann.

  1. Der Fokus sollte vor allem auf der Bildung von Grundkenntnissen liegen und der Verpflichtung gegenüber der Idee, dass jedes Kind diese Kenntnisse erlangen kann, unabhängig von Geschlecht oder ethischer Zugehörigkeit. Charter Schools in den USA oder die Schulprogramme von Pratham in Indien sind auf diesen Prinzipien aufgebaut und weisen einen grossen Erfolg auf in ihrer Umsetzung.
  2. Es ist wichtig Aushilfskräfte auszubilden und in den schulischen Prozess zu integrieren. So haben freiwillige junge Aushilfskräfte (oftmals StudentInnen) im indischen Bundesstaat Bihar zu einer grossen Verbesserung der schulischen Leistung beigetragen, nachdem sie über 7 bis 10 Tagen eine kurze pädagogische Ausbildung absolviert hatten.
  3. In Kenia hat sich herausgestellt, dass die beste Methode für effizientes Lernen in der Unterteilung der Kinder nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen liegt. So können sie ihrem eigenen Tempo folgen und am besten ihr Potential entfalten. Eine andere Möglichkeit läge in der Auflösung der festgefahrenen Klassenstufen. So könnten SchülerInnen jene Fächern, in welchen sie Probleme bekunden, eine Klassenstufe tiefer absolvieren und dennoch in ihrer Hauptklasse bleiben.
  4. Die oben schon erwähnte Studie aus Madagaskar sowie eine aus der Dominikanischen Republik konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Haltung der Eltern gegenüber der schulischen Bildung und der Leistung ihrer Kinder erkennen. Die Weitergabe von Informationen über den Nutzen der Schule an Eltern ist die mit Abstand günstigste Möglichkeit die herrschenden Zustände zu verbessern, da dies für die Lehrkräfte mit wenig Aufwand verbunden ist.
  5. Da es in Entwicklungsländern nicht so einfach ist gut ausgebildete und motivierte Lehrkräfte zu finden, bietet der Gebrauch von technologischen Hilfsmitteln eine zusätzliche Möglichkeit den Unterricht ausgewogener zu gestalten. Banerjee und Duflo konnten mit einem entsprechenden Experiment, welches in Indien durchgeführt wurde, eine Verbesserung der schulischen Leistung erkennen.

Eine Vereinfachung des Lehrplans auf den Fokus der Kernkompetenzen, sowie eine Schulbildung, welche die Bedürfnisse und Talente jedes einzelnen Kindes berücksichtigt, würde die Bildungsverhältnisse in den Entwicklungsländern stark verbessern. Das Genie, welches in jedem Kind steckt, kann sich nur dann entfalten, wenn diskriminierende Einschränkungen in der Schule dessen Selbstvertrauen nicht zerstören. Die Schule soll den Kindern dienen und nicht umgekehrt!

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Eine Welt ohne Armut – Utopie oder Möglichkeit? https://gbs-schweiz.org/blog/welt-armut-utopie-moglichkeit/ https://gbs-schweiz.org/blog/welt-armut-utopie-moglichkeit/#respond Wed, 31 Jul 2013 08:00:02 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=4514

Bei jeder dritten Geburt in Subsahara-Afrika stirbt die gebärende Mutter.

Jedes Jahr sterben 9 Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag.

In fünfundzwanzig Ländern liegt die Lebenserwartung eines Menschen unter fünfundfünfzig Jahren.

Wir alle haben Informationen wie diese schon zigmal in irgendeinem Zusammenhang gehört. Uns allen sind diese Statistiken bekannt und wir wissen, dass an gewissen Orten auf der Welt solche Zustände anzutreffen sind. Dennoch schrecken wir nicht zusammen, wenn wir damit konfrontiert werden. Niemand zückt sogleich freien Herzens die Brieftasche und spendet Geld an eine oder mehrere Hilfsorganisationen. Zugegeben, nicht gerade niemand, aber zumindest nicht viele, geschweige denn genug Menschen.
Für dieses Verhalten gibt es diverse Erklärungen. Die folgende ist sicherlich die populärste von allen: Wir glauben, dass eine Spende nur ein sogenannter Tropfen auf den heissen Stein ist und dieser oftmals schon vor dem Auftritt vaporisiert wird.

Hier soll aufgezeigt werden, dass der Kampf gegen die Armut  nicht eine unlösbare Herausforderung darstellt. Denn durch das genaue Verständnis und die Identifikation der konkreten Charakteristika ist eine Lösung des Armutsproblems möglich. Die Betrachtung der empirischen Erhebungen der letzten zwanzig Jahre lässt diesbezüglich durchaus Zuversicht zu. So ist die Anzahl an Menschen, welche in Entwicklungsländern in extremer Armut leben mussten – sprich mit maximal 1$ pro Tag – zwischen 1990 und 2010 von 43 auf 21 Prozent gesunken und auch die globale Armutsrate hat sich innerhalb dieser zwei Jahrzehnte halbiert.

Doch auch wenn die letzten Zahlen ein positives Bild hinterlassen, so leiden jeden Tag noch immer Millionen von Menschen unter den Folgen von Armut und es ist noch ein langer Weg hin zu einer Welt, in der so wenig Menschen wie möglich um ihr Überleben kämpfen müssen.
Eine Möglichkeit diesen Prozess effizient voranzutreiben ist die Änderung der wissenschaftlichen Herangehensweise an dieses Thema. Auch heute streiten sich die meisten ExpertInnen über „grosse“ Fragen wie

  • Was sind die Ursachen von Armut?
  • Ist Demokratie ein geeignetes Mittel zur Armutsbekämpfung?
  • Inwieweit müssen wir ausländische Hilfe miteinbeziehen?

Viel zielführender wäre es jedoch interventionsbezogene Fragen zu stellen wie beispielsweise

  • Wie bekämpft man Malaria oder Dengue-Fieber am besten?

Auf der einen Seite steht Jeffrey Sachs, US-Ökonom und seit 2002 Sonderberater für die Millennium Goals, welcher auf all diese Fragen eine abschliessende Antwort hat: Arme Länder sind deshalb arm, weil sie in heissen, unfruchtbaren, malariainfizierten, landumschlossenen Gebieten liegen und sich somit in einer Poverty Trap befinden, aus deren Fängen sie sich ohne (finanzielle) Hilfe nicht eigenständig befreien können. Ohne ausländische Hilfe, ohne einen Kick-Start kann weder Demokratie noch ein freier Markt viel für die Verbesserung dieser Länder tun. Sofern aber die reichen Länder jährlich 200 Milliarden in Entwicklungshilfe investierten, könnte die Armut zwischen 2005 und 2025 vollständig eliminiert werden.

Auf der anderen Seite – genau so lautstark wie Sachs – gibt es  die Advokaten der Anti-Aid-Bewegung, zu denen William Easterly gehört. Ihrer Meinung nach wird Entwicklungshilfe zu längerfristig schlechteren Konsequenzen führen, da sie verhindert, dass die betroffenen Menschen nach eigenen Lösungen suchen. Ausserdem führt sie zu vermehrter Korruption in den lokalen Institutionen. Die effizienteste Lösung bestehe darin den Menschen freien Zugang zu Märkten zu gewähren und durch die richtigen Anreize Selbsthilfe zu unterstützen. Nach Easterly gibt es folglich keine Poverty Traps.

Wem sollen wir nun glauben? Um darauf eine Antwort zu finden, brauchen wir empirische Daten. Doch jene Daten, welche heutzutage für die Beantwortung dieser Frage herangezogen werden, ergeben je nach Land und Region ein anderes Resultat.
Wenn es also tatsächlich keine allgemein gültigen Beweise für oder gegen den Nutzen von Entwicklungshilfe gibt, sollen wir uns gleichwohl der Thematik Weltarmut widmen?

In ihrem Buch „Poor Economics – a Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty“ zeigen Abhijit Vinayak Banerjee und Esther Duflo Beispiele von Hilfeleistungen auf, die zu guten oder schlechten Konsequenzen führten. Die „grossen“ Fragen klammern sie dabei vollkommen aus. Denn es ist nicht klar, inwiefern deren Beantwortung bei der Bekämpfung globaler Armut überhaupt eine Rolle spielt. Die Frage beispielsweise, ob ausländische Hilfe überhaupt nützlich ist, ist gar nicht ausschlaggebend, da diese nur einem sehr kleinen Anteil der finanziellen Ausgaben zugunsten armer Menschen entsprechen.

Es ist nicht wichtig woher das Geld kommt, sondern wohin es geht!

Ein Beispiel: Für ungefähr 10$ ermöglichen Sie es, dass ein Malaria-Netz einer Familie abgegeben und dessen Verwendung erklärt wird. Doch zu welchem Preis sollten Regierungen oder NGOs den Familien diese Netze nun verkaufen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht immer klar ersichtlich. Licht ins Dunkel liefert hier die Beantwortung der folgenden drei Unterfragen:

  1. Würden die Menschen Netze kaufen, wenn sie den vollen Preis (oder zumindest einen beachtlichen Anteil davon) bezahlen müssten?
  2. Benutzen die Menschen die Netze sachgemäss, wenn diese gratis oder zu einem subventionierten Preis angeboten werden?
  3. Würden die Menschen in Zukunft weiterhin Netze kaufen wollen, wenn diese kostenfrei oder subventioniert angebotenen Netze künftig teurer würden?

Um diese Fragen überhaupt beantworten zu können, brauchen wir Vergleichsgruppen, welchen verschiedenen Subventionierungsgrössen zugewiesen wurden, um allfällige Unterschiede aufzudecken. Dabei ist es wichtig, dass für diese empirische Untersuchung die Individuen zufällig zugeteilt werden und keinen bestimmten Kriterien unterliegen (wie beispielsweise die Höhe des Einkommens, das Alter u. a.). Ein solches Studiendesign nennt sich RCT; Randomized Controlled Trial.

Das so gesammelte neue Wissen würde der aktuellen Debatte mehr Substanz geben und uns in der Ausgestaltung der besten politischen Strategie unterstützen. Ein wichtiger Bestandteil einer datengestützten Ausrichtung von Spendengeldern liefert Giving What We Can (GWWC), ein internationaler Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Weltarmut zu bekämpfen. Neben aufklärerischer Arbeit im Bereich der Spenden evaluiert GWWC Hilfsorganisationen und gibt Empfehlungen ab. Auf Platz 1 befindet sich derzeit die Against Malaria Foundation (AMF). Die Stiftung AMF sammelt Geld für Malaria-Netze, deren Verteilung und Nutzung und überprüft selbst deren Anwendung und Reichweite.

Der Weg in eine Welt ohne Armut mag ein weiter sein, doch mit der richtigen Methodik ist er schnell zurück gelegt. Die folgende Serie basiert auf dem Buch „Poor Economics“ von Abhijit Vinayak Banerjee und Duflo Ester und soll mit falschen Problemstellungen aufräumen und Lösungsansätze präsentieren.

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Wer wagt den Blick in die Finsternis? https://gbs-schweiz.org/blog/wer-wagt-den-blick-in-die-finsternis/ https://gbs-schweiz.org/blog/wer-wagt-den-blick-in-die-finsternis/#comments Fri, 19 Apr 2013 07:00:10 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=3285 Sie erhalten die Nummern 2, 4 und 6 mit der Aufgabe, die Regelhaftigkeit der Abfolge herauszufinden. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Regel mit weiteren Tripeln zu testen, solange bis Sie sich der Regel sicher sind. Notieren Sie welche Regel Sie vermuten und mit welchen Tripeln Sie diese Vermutung testen würden, bevor Sie weiterlesen.

Finsternis

Stellen wir uns vor, jemand gibt folgende Tripel zur Testung mit den entsprechenden Resultaten:

  • 4; 6; 8.
    Trifft zu.
  • 4; 8; 12.
    Trifft zu.
  • 4; 6; 2.
    Trifft nicht zu.

Führt die von Ihnen vermutete Regel zu den selben Resultaten? Was denken Sie: Welche Regel gibt diese Person zur Antwort? Bleiben Sie bei Ihrer Vermutung?

Die beschriebene Aufgabe nennt sich die 2-4-6-Aufgabe. Sie wurde von Peter Cathcart Wason, einem experimentellen Forscher im Gebiet der Denkpsychologie, als klassisches Experiment zur Prüfung von systematischen Fehlern durchgeführt. Seit der ersten Durchführung im Jahr 1960 geben Testpersonen ihre Antworten zwar mit viel Überzeugung ab, aber nur jeweils rund 20% eruieren die korrekte Regel innert nützlicher Frist.

Mit der ursprünglichen Folge 2; 4; 6 sind, neben unbestimmt vielen weiteren, die beiden Regeln
x; (x+2); (x+4) und x; (2x); (3x) denkbar. Das erste Test-Tripel aus dem Beispiel bestätigt die erste, widerlegt aber die zweite Regel. Das zweite Test-Tripel liefert gegensätzliche Resultate. Somit sind beide Regeln nicht zutreffend, weil sie sich gegenseitig ausschliessen, wenn x durch eine beliebige natürliche Zahl ersetzt werden kann und nicht ausschliesslich gilt, dass x = 2. Zwei Vermutungen zu haben, hat uns in diesem Fall vor einer voreiligen Antwort bewahrt.

Wir sehen nur die Hälfte der Welt.

Bisher haben wir unsere Vermutungen nur verifizierend (positiv) getestet, auch wenn dadurch indirekt andere Regeln falsifizierend (negativ) getestet wurden. Um Zufallstreffer und voreilige Schlüsse zu verhindern und die eigene Vermutung aussagekräftig zu testen, müssen wir unsere Vermutung nicht nur mit bestätigenden, sondern auch mit widersprechenden Tripeln testen. Stehen uns zwei Regeln zur Auswahl, von denen eine zutrifft und die andere nicht, und erhalten wir auf einen bestätigenden Test ein positives Resultat, so schliessen wir ohne weitere Tests zurecht, dass diese Regel zutrifft. So dürfen wir im Normalfall aber nicht vorgehen, da wir eine unbestimmte Anzahl möglicher Regeln haben. Denn wir können uns nicht absolut sicher sein, dass unsere Vermutung die einzige Regel ist, die auf das gegebene Tripel zutrifft. Wenn wir uns sicher wären, müssten wir unsere Vermutung ja überhaupt nicht testen, schon gar nicht mehrmals. Dasselbe gilt auch, wenn wir mehrere Vermutungen haben.

Die Selection Task ist ein weiteres Experiment, welches zeigt, wie Menschen dazu tendieren, eine Regel bestätigend zu prüfen, auch wenn dies nicht sinnvoll ist. Vier Karten mit den Markierungen 3, 8, rot und braun liegen vor Ihnen auf dem Tisch. Jede Karte hat auf der einen Seite eine Zahl, auf der anderen Seite eine Farbe. Indem Sie möglichst wenige Karten umdrehen, sollen Sie herausfinden, ob folgende Regel zutrifft: Wenn eine Karte auf einer Seite eine gerade Zahl hat, ist die andere Seite rot. Wie würden Sie vorgehen?

Sowohl 1966, wie auch 1993 konnten weniger als 10% die optimale Vorgehensweise identifizieren. Die Regel kann mit der Karte mit einer 8 verifizierend und mit der braunen Karte falsifizierend eindeutig geprüft werden. Die Karte mit einer 3 und die rote sind dafür irrelevant, weil es sich bei der Regel um einen Konditional handelt.

Das Potential von negativen Tests liegt vor allem darin, dass wir sie viel „kreativer“ gestalten können als positive Tests. Gäben wir beispielsweise das Dreierset 4; 19; 20 als Gegenbeispiel zur ersten Regel x; (x+2); (x+4) und 78; 183; 291 als Gegenbeispiel zur zweiten Regel x; (2x); (3x) zur Prüfung, kriegten wir in beiden Fällen ein positives Resultat. Diese Resultate würden uns zeigen, dass der Rechenvorgang von der ersten Zahl zur zweiten noch nicht einmal dem Rechenvorgang von der zweiten Zahl zur dritten entspricht. Und auch zwischen den beiden Dreiersets lässt sich keine offensichtliche Verbindung feststellen. Wir haben also entweder zu wenig Information, um die Rechenfolge zu eruieren, die sich über mehr als drei Stellen erstreckt (wie beispielsweise beim Anfang der Fibonacci-Folge), oder die Antwort ist viel simpler als wir denken.

Die Tendenz, Hypothesen nur positiv zu prüfen, nennt man Positive Bias. In manchen Fällen ist der Positive Bias eine Form des Confirmation Bias. Anders als diesem liegt ihm aber nicht die Tendenz zugrunde, neue Informationen so auszuwerten, dass sie die eigenen Überzeugungen stützen. Er besteht eher in einer Aufmerksamkeitsnachlässigkeit. Wir betrachten nur den bestätigenden, positiven Bereich und vernachlässigen es, den negativen auch zu berücksichtigen.

Wir sollten uns darum bemühen, den negativen Bereich zu berücksichten, also auch in die Dunkelheit zu sehen. Dann schneiden wir auch in der 2-4-6-Aufgabe besser ab.

Quellenangabe
Yudkowsky, E. (2007). Positive Bias: Look Into the Dark. Übersetzt und erweitert von A. Abdulkadir. LessWrong (19.4.2013)
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Wie wir uns selbst über- und die Wissenschaft unterschätzen https://gbs-schweiz.org/blog/wie-wir-uns-selbst-uber-und-die-wissenschaft-unterschatzen/ https://gbs-schweiz.org/blog/wie-wir-uns-selbst-uber-und-die-wissenschaft-unterschatzen/#respond Sat, 30 Mar 2013 14:07:07 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=3188

Tag für Tag entdecken SozialwissenschaftlerInnen, dass das menschliche Verhalten dem entspricht, was man erwarten würde.

– Cullen Murphy, Editor von The Atlantic

Ein Grossteil dieser Erwartungen sind dem Hindsight Bias zuzuschreiben. Nach der Lektüre der Grundlagen können Sie im Folgenden testen wie gut Sie den Hindsight Bias überwinden können.

Der Historiker Arthur Schlesinger Junior hat die Studie über die Erfahrungen von Soldaten im Zweiten Weltkrieg als bekannte Banalitäten abgetan. Darunter waren folgende Resultate mit den zugehörigen Erklärungen dieser Erfahrungen:

  1. Besser ausgebildete Soldaten litten vermehrt unter Anpassungsstörungen als schlechter ausgebildete. Dies lässt sich auf die schwächere „Street-Smartness“ von Intellektuellen zurückführen.
  2. Soldaten aus den Südstaaten verkrafteten das neuseeländische Klima besser als Soldaten aus den Nordstaaten. Südstaatler sind warmes Wetter gewohnt.
  3. Hellhäutige Grenadiers setzten sich vermehrt dafür ein den Rang des Unteroffiziers zu erlangen als dunkelhäutige Grenadiers. Die jahrelange Unterdrückung von Dunkelhäutigen hat deren Leistungsbestreben geschwächt.
  4. Dunkelhäutige Soldaten aus den Südstaaten bevorzugten hellhäutige Offiziere aus den Südstaaten vor hellhäutigen Offizieren aus den Nordstaaten. Offiziere aus den Südstaaten sind es gewohnt mit Dunkelhäutigen zu interagieren und besser trainiert darin.
  5. Solange der Krieg aktiv ausgefochten wurde, setzten sich Soldaten verstärkt für ihre Heimkehr ein als nach Kriegsende. Während dem aktiven Kampf wussten die Soldaten um die Lebensgefahr und wollten der gefährlichen Situation entkommen.

Wie oft haben Sie die Erklärungen als stimmig empfunden? Hätten Sie irgendwo das Gegenteil erwartet? Wie oft haben Sie sich selbst einen Irrtum eingestanden?

Wie ist es, wenn ich Ihnen sage, dass die gegenteiligen Resultate gefunden wurden? Oder doch nicht? Sind Ihre jetzigen Denkprozesse – da Sie gerade wirklich nicht wissen was stimmt – anders als jene Denkprozesse von vorher – als Sie dachten, Sie wüssten was wahr ist und die genannten Erklärungen rationalisiert haben?

Ich mache das nicht um Sie zu ärgern. Doch das Mass Ihrer rationalen Stärke entspricht Ihrer Fähigkeit sich von Fiktion eher erstaunen zu lassen als von der Realität. Diese Fähigkeit ist besonders in der Wissenschaft relevant; als Akteure während des Forschungsprozesses, aber auch im Umgang mit wissenschaftlichen Resultaten. Denn der Hindsight Bias führt dazu, dass Menschen denken, sie bräuchten die Wissenschaft nicht, weil sie all das ja auch selbst hätten vorhersagen können.

Vor allem wenn die wissenschaftlichen Resultate zum eigenen bestehenden Modell der Realität passen, lässt uns der Hindsight Bias den Wert ebendieser Resultate missachten. Das untergräbt den Beitrag aller WissenschatlerInnen und die Wissenschaft hat schon genügend Schwierigkeiten. Zudem hemmt der Hindsight Bias die Erkenntnis, dass Evidenz nicht zum bestehenden Modell passt. Denn wenn der Schritt der Rationalisierung der unvoreingenommenen Analyse der Resultate vorangeht, werden Anomalien meist in das bestehende Modell ein-rationalisiert oder maximal als sogenannte Ausnahmen der Regel abgetan. Noch verheerender: Das eigene Modell wird nie einer wirklichen Prüfung unterzogen. Wollen Sie das wirklich?

In Anlehnung an den englischen Originalartikel der LessWrong-Community.
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Rationalität – Ein Wecker im Schlummermodus https://gbs-schweiz.org/blog/rationalitaet-ein-wecker-im-schlummermodus/ https://gbs-schweiz.org/blog/rationalitaet-ein-wecker-im-schlummermodus/#respond Mon, 25 Mar 2013 00:06:49 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=3214 Dient es der Psychohygiene, so bin ich ein grosser Fan der Prokrastination. Ich treibe mich dann z.B. in Ratgeber-Chatrooms herum. In einem solchen schrieb neulich ein Chat-Teilnehmer, dass sein Freund aufgrund von Brustschmerzen die Ambulanz gerufen habe. Die beiden Rettungssanitäter seien gekommen, aber ohne ihn zu behandeln wieder gegangen, mit der Begründung, dass alles in Ordnung sei. Nun seien die Brustschmerzen seines Freundes aber stärker geworden. Was sollte er tun?

Ich weiss, dass die Ambulanz gesetzlich verpflichtet ist, Leute mitzunehmen, die sie um Hilfe anrufen. Denn wenn sie es nicht täte, könnten ihr durch Klagen hohe Kosten entstehen. Wir alle haben eine Vorstellung der Realität. Es ist ein Modell, das durch Wissen und Erfahrungen entstanden ist und uns dabei hilft, Ereignisse beurteilen. Nach diesem Modell weiss ich, dass die Ambulanz dazu verpflichtet ist, eine sich in einer Notsituation befindende Person mitzunehmen. Das im Chatroom erzählte Ereignis widerspricht meinem Modell. Doch ich vertraue medizinischen Fachpersonen und habe es auch selbst schon erlebt, dass mein Arzt Brustschmerzen, die mich beunruhigten, für harmlos erklärte. Die Ambulanz hätte den Freund des Chat-Teilnehmers also sicher mitgenommen, wenn Anlass zu Sorge bestanden hätte, dachte ich. So gelang es mir, das Ereignis mit meinem bestehenden Modell über die Pflicht der Ambulanz zu vereinbaren, obwohl mich die Geschichte für einen Augenblick stutzig machte. Doch dann berichtet der Chat-Teilnehmer kurze Zeit später, sein Freund habe die Geschichte erfunden. Was sagt dies darüber aus, wie wir mit Geschichten umgehen, die nicht mit unseren Modellen der Wirklichkeit in Einklang stehen? Ich hätte vielleicht merken sollen, dass der mir unbekannte Freund eines mir unbekannten Chat-Teilnehmers weniger glaubwürdig ist als eine publizierte Studie. Doch es ist leider einfacher, zu glauben als zu zweifeln.

snooze

Wir halten Dinge instinktiv für wahr, während es eine bewusste Anstrengung erfordert, an ihnen zu zweifeln. Deshalb habe ich das vom Chat-Teilnehmer geschilderte Verhalten der Ambulanz, das eine Abweichung von meinem bestehenden Modell der Realität bedeutete, bereitwillig akzeptiert. Nur kurz war ich skeptisch. Mein Hirn hat, einem Wecker vergleichbar, kurz gepiepst, worauf ich es, ungewillt, die Anstrengung auf mich zu nehmen, ihm zuzuhören, kurzerhand ausgeschaltet und in der Schlummerfunktion weiterlaufen liess. Das war mir sehr peinlich. Ich wusste, dass der Nutzen eines guten Modells über die Realität nicht so sehr in dem besteht, was es erklären kann, sondern darin, zu wissen, was es nicht erklären kann. Ein Modell, das aus wahren Aussagen über die Welt gespiesen wird, muss einem dabei helfen, Ereignisse, die nicht mit ihm übereinstimmen, für unwahrscheinlich zu halten, sonst erlaubt es alles und nutzt entsprechend wenig. Wer alle Ereignisse gleich gut erklären kann, weiss nichts.

Ich wusste alles, das es dazu brauchte, die richtige Antwort zu finden. Ich hätte meine Wahrnehmung davon, dass etwas nicht stimmte, stärker berücksichtigen sollen. Dies zu bemerken, ist einer der wichtigsten Eindrücke, die jemand hat, der danach strebt, wahre Meinungen über die Welt zu haben. Weshalb habe ich den Rationalitätsalarm unter meiner Schädeldecke ignoriert? Es ist ein Konstruktionsfehler der menschlichen Kognition, dass unser Rationalitätsalarm mit einer Schlummertaste ausgestattet ist. Denn zu schlummern kann bedeuten, dass ich mein Ziel nicht erreiche, also verliere. Statt des Piepsen eines Weckers, den wir ohne weiteres wieder in den Schlummermodus versetzen können, bräuchten wir eine heulende Ambulanzsirene, die uns signalisiert: Entweder dein Modell oder diese Geschichte ist falsch!

Quellenangabe
Gilbert, D., Tafarodi, R., Malone, P. (1993). You Can’t Not Believe Everything You Read. Journal of Personality and Social Psychology 65 (2), 221-233.
Yudkowsky, E. (2007). Your Strength as a Rationalist. Übersetzt von A. Abdulkadir. LessWrong (25.3.2013)
Bild: Eflon.
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Des Narren Lohn https://gbs-schweiz.org/blog/des-narren-lohn/ https://gbs-schweiz.org/blog/des-narren-lohn/#respond Sat, 19 Jan 2013 13:35:22 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=1864 Kaum jemand mag es, mit den eigenen Fehlern konfrontiert zu werden. So meldet sich in Diskussionen mit anders Denkenden oft das eigene Ego defensiv zu Wort. Die Aussagen werden daraufhin ausweichend, abschätzig und der argumentative rote Faden geht verloren. Diese Reaktion und die ihr zugrunde liegende Haltung sind höchst irrational; sie schaden in erster Linie dem Diskussionsthema, nicht zuletzt aber auch uns selbst.

Es ist nicht der Irrtum, der uns zu Narren macht, sondern die Entscheidung, die Information über den Irrtum nicht zu unserem Vorteil zu nutzen.

Stellen Sie sich vor, Sie bringen zu den Treffen mit Ihren Freunden immer einen ganz bestimmten Weisswein mit. Sie sind der Überzeugung, dass Ihre Freunde sich darüber freuen und dass Sie genau das mitbringen, was gewünscht ist. Wie wäre es aber, wenn der Wein gar nicht den Wünschen Ihrer Freunde entspräche? Wäre es nicht gut, Ihre Freunde würden Ihnen das sagen? Natürlich, im ersten Moment wären Sie enttäuscht – vor allem, weil sie es schon immer so gemacht haben. Anstatt aber in beschämter Defensive zu verharren oder sich retrospektiv den Kopf zu zerbrechen, sollten Sie lieber beleuchten, welches Potential die Information über Ihren Irrtum in sich trägt; die Möglichkeit zu einem Update:

  • Sie wissen nun, dass Sie ein anderes Getränk mitbringen sollten. Ihr Status „falsch liegen“ wird zum Status „weniger falsch liegen“ oder „richtig liegen“. Ihr Mindset (Denkweise) wird aktualisiert.
  • Ihnen wird umgehend klar, warum doch immer nur wenig von dem Wein getrunken wurde. Ihr Mindset stimmt besser mit der Faktenlage überein.
  • Einige Male wollten Sie einen Portwein mitbringen, dachten aber, Ihre Freunde würden Weisswein vorziehen. Folgefehler aus Ihrem ursprünglichen Irrtum können nun vermieden werden. Ihr Mindset vergrössert sich.

Die beschriebene Problematik findet sich in vielen anderen Situationen wieder, in denen schwerwiegendere Konsequenzen drohen. Rationalität stellt sich zusammen aus Entscheidungsfindung, Logik und Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn wir unsere Entscheidungen nach logischen Kriterien treffen, ist es äusserst unwahrscheinlich, dass wir immer richtig liegen. Was sollten wir also – im Sinne eines rationalen Verhaltens – tun, wenn wir auf einen Irrtum hingewiesen werden? Es ist in jedem Fall vonnöten, die erhaltene Information zu prüfen und von der eigenen Position abzuweichen, wenn diese sich als irrtümlich herausstellt. Das Potential im Hinweis auf einen Irrtum liegt darin, dass uns die Möglichkeit geboten wird, uns zu verbessern. Es ist also das einzig Rationale, sich über den korrigierenden Hinweis zu freuen und das Update des eigenen Mindsets durchzuführen, wenn sich ein Irrtum als solcher erwiesen hat.

Warum sich aber darauf verlassen, dass andere einen auf Irrtümer hinweisen werden? Wäre das nicht zu passiv, zu riskant? Können wir diese Rolle nicht selbst übernehmen? Wer eigene Denkerfolge als Lichter in der Dunkelheit betrachtet, verwahrt  sie nur allzu gern und allzu schnell wie Trophäen auf dem Dachstock. Dort werden sie mit der Schutzdecke der Unantastbarkeit überstülpt. Doch was ist, wenn diese Lichter Trugbilder waren? Was, wenn sie in der Zwischenzeit erloschen sind? Es lohnt sich, den Dachstock unserer Denkerfolge zu erforschen, die Schutzdecke der Unantastbarkeit zu heben und zu schauen, ob noch alle Lichter brennen.

Im rasanten TED-Talk „Smart Failure for a Fast-changing World“ schildert Professor Eddie Obeng, britischer Autor und Seminarleiter, die Veränderungen hinsichtlich der Informationsmenge, -dichte und -geschwindigkeit, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Im Bezug auf Irrtümer spricht er von sogenannten klugen Fehlern. Kluge Fehler sind solche, die durch ein mutiges Verhalten in unbekanntem Gebiet entstehen. Der Talk ist ein Plädoyer für die Salonfähigkeit und Belohnung von klugen Fehlern in der Arbeitswelt, während Fehler in bekanntem Gebiet weiterhin zu vermeiden sind. In bekanntem Gebiet bekannte Methoden anzuwenden, scheint selektiv betrachtet oft erfolgreich, bringt jedoch nur selten langfristgen Fortschritt.

Being proven wrong is like winning the lottery.

Das Bestreben eines jeden Rationalisten sollte das stetige Ausloten der eigenen Position und die allfällige Anpassung des eigenen Mindsets sein. Denn das Update ist des – rationalen – Narren Lohn.

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Evidenzbasierte Medizin – Wie weiss ich, was wirkt? https://gbs-schweiz.org/blog/evidenzbasierte-medizin-wie-weiss-ich-was-wirkt/ https://gbs-schweiz.org/blog/evidenzbasierte-medizin-wie-weiss-ich-was-wirkt/#respond Mon, 14 Jan 2013 00:22:47 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=1376 „Meinem Onkel hat das immer geholfen und bei mir wirkt es auch.“ oder „Was nicht nützt, schadet auch nicht.“ sind im Alltag oft gehörte Beispiele für anekdotisches Wissen über Medizin und Medikamente. Hierbei handelt es sich aber weniger um valides medizinisches Wissen, als um durch Erfahrungen und Erzählungen akkumulierte Überzeugungen oder gar Mythen. Und solch placebo-ähnliches Wissen entscheidet in manchen Fällen über Leben und Tod.

So wurden beispielsweise mit der traditionellen Methode des Aderlasses seit Jahrtausenden Blutadern eröffnet in der Annahme, man könne so die vier Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht bringen. Leopold II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, George Washington und weitere berühmte Persönlichkeiten sind aufgrund dieser meist kontraproduktiven Behandlung gestorben. Dieser Zusammenhang wurde aber erst viele Jahre später geklärt, da die damalige Medizin über keine bessere Alternative verfügte. Nach heutigem wissenschaftlichem Stand wird von Aderlass als Behandlungsmethode bis auf einzelne Ausnahmen klar abgeraten. Dennoch beteuern viele, dass der Aderlass bei ihnen gewirkt habe.

Wie verschafft man sich also in einem Meer von Behauptungen Klarheit?
Die Antwort darauf lautet: Mit evidenzbasierter Medizin.

In der Schweiz hat sich die Lebenserwartung bei Geburt seit 1900 beinahe verdoppelt. Neben der Verbesserung der Hygiene und der Ernährung hat auch die Einführung der randomisierten kontrollierten Studie (im Englischen RCT für Randomized Controlled Trial) einen grossen Beitrag dazu geleistet. Denn Resultate aus dem Bereich der Kognitionspsychologie haben gezeigt, dass unsere subjektive Wahrnehmung durch etliche Faktoren beeinflusst und verzerrt wird. Wenn wir möglichst sicheren Wissensgewinn generieren möchten, welcher ohne absoluten Wahrheitsanspruch die bestmöglichen Aussagen hervorbringen kann, müssen wir uns auf faire Vergleiche stützen und nicht nur auf unser verzerrtes subjektives Empfinden.

Ein anschauliches Beispiel einer strukturierten Untersuchung bietet Sir Ron Fisher, britischer Pionier klinischer Studien im 20. Jahrhundert. In Cambridge sprach er mit einer Frau darüber wie man den besten Tee zubereite. Sie war der Überzeugung, dass der Tee besser schmecke, wenn man die Milch vor dem Tee in die Tasse giesse. Sir Ron Fisher und beisitzende Wissenschaftler beharrten dem entgegen darauf, dass die Reihenfolge bei der Teezubereitung keinen Einfluss auf den Geschmack habe. Zur Prüfung schlug Fisher einen blinden Direktvergleich vor. Die Frau sah bei der Teezubereitung nicht zu und beide Tassen waren identisch. Dennoch konnte sie die beiden vermeintlich gleichen Tees deutlich voneinander unterscheiden. Die unterschiedliche Geschmacksempfindung lässt sich wissenschaftlich begründen: Die Milchproteine werden beim Zugiessen in das heisse Wasser zersetzt, was beim umgekehrten Verfahren nicht der Fall ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei der Aussage der Frau um anekdotisches Wissen gehandelt hat. Um nun aber über die Gültigkeit der Aussage urteilen zu können, reichen akkumulierte Erfahrungen nicht. Die Behauptung muss vielmehr in einem standardisierten Versuch überprüft werden.

Medizin, welche mit RCTs arbeitet, nennt sich Evidence-based Medicine, kurz EBM. Evidence-based bedeutet, dass diese Medizin mit strukturierten Methoden strikte geprüftes Wissen generiert. Dies beinhaltet auch die  Reproduktion von Ergebnissen durch unterschiedliche Quellen zur Aufdeckung allfälliger Fehler. EBM stellt sicher, dass jede untersuchte Substanz oder Behandlung so gut wie möglich evaluiert wird. So bringt sie Anwendungen hervor mit statistisch verlässlichem Nutzen. Dies beinhaltet auch diejenigen Naturprodukte, welche eben diese EBM-Kriterien erfüllen.

„You know what they call alternative medicine that’s been proved to work? – Medicine.“

Tim Minchin, australischer Sänger

Die Gefahr solcher Zitate besteht darin, dass die Problematik zu wenig ernst genommen wird. Humor trägt in diesem Fall jedoch nichts zur Lösung des Problems bei, im Gegenteil: Er raubt den ernsthaften Konsequenzen den Fokus. Kritik sollte die Betroffenen weiterbringen, ihnen Entscheidungshilfen anbieten und sie selbst oder ihre Behandlungswahl keinesfalls ins Lächerliche ziehen. Vielmehr sollten umstrittene Gedanken von ihrem gewohnten Kontext isoliert werden. Würden Sie sich beispielsweise mit einer homöopathischen Zahnpaste die Zähne putzen? Genauer gefragt: Erachten Sie es als sinnvoll bei Karies hochpotenzierten Zucker in Form einer Zahnpaste zu verabreichen, um dem Grundsatz simila similibus curentur (Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt) gerecht zu werden? Würde in diesem Falle – wenn es nichts nützt – wirklich kein Schaden entstehen?

Auch der modernen Medizin hilft konstruktive Kritik und eine hinterfragende Haltung, denn auch sie funktioniert längst noch nicht optimal und hat Verbesserungspotential. Es mangelt bei vielen Studien beispielsweise an der Reproduzierbarkeit. Sowohl grosse Pharmakonzerne als auch Alternativmediziner manipulieren Studienresultate. Wie gehen wir also mit dieser Problematik um? Auch wenn es sich um eine schwierige Sachlage handelt, gibt es Lösungsansätze. Es benötigt staatlich unterstützte Institutionen, welche Verzerrungen und Fälschungen von Studien systematisch aufdecken und beheben. Und es braucht Organisationen, welche sich auf internationaler Ebene für evidenzbasierte Medizin einsetzen. Die Cochrane Collaboration tut dies seit ihrer Gründung im Jahre 1993. Ihr Ziel ist es, eine systematische Übersicht medizinischer Therapie-Evaluationen zu liefern, diese aktuell zu halten, auszuweiten und für ein grösstmögliches Publikum erreichbar zu machen.

Doch ein jeder von uns kann selbst etwas tun, um in Zukunft besser fundierte Entscheidungen zu treffen. Anekdotisches Wissen befruchtet Verzerrungen und Fälschungen unseres Verstandes und gehört deshalb in den nicht-medizinischen Alltag. Weiter gibt es systematische Verzerrungen (englisch Biases), welche Studienergebnisse beeinträchtigen können. Die wichtigsten Biases im Zusammenhang mit Studien sind:

Es geht bei evidenzbasierter Medizin nicht um den Ausschluss fremder Ansichten, sondern um die Zuverlässigkeit von medizinischen Aussagen. Ziel ist es, dass jeder Mensch Zugang hat zu fundierter Information und aufgrund derer aus den vielfältigen Wahlmöglichkeiten seinen optimalen Behandlungsplan (mit-)gestalten kann.

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Randomisierte kontrollierte Studie – Welche Pille ist die beste? https://gbs-schweiz.org/blog/randomisierte-kontrollierte-studie/ https://gbs-schweiz.org/blog/randomisierte-kontrollierte-studie/#respond Thu, 10 Jan 2013 11:39:41 +0000 http://giordano-bruno-stiftung.ch/?p=1374 Die randomisierte kontrollierte Studie (englisch RCT für randomized controlled trial) ist das erwiesenermassen beste Studiendesign medizinischer Forschung und bildet die Basis evidenzbasierter Medizin. Ein RCT liefert auf eindeutige Fragestellungen Ergebnisse mit optimaler Aussagekraft. Oftmals handelt es sich dabei um Fragen der Kausalität, sprich „Führt Parameter P zu Zustand Z?“ oder „Senkt Medikament M die Ausprägung des Symptoms S?“.

Zur Qualitätssicherung einer Untersuchung sollte ein RCT möglichst folgende vordefinierte Kriterien erfüllen:

1. Randomisierung: Zufällige Zuordung der Probanden in die untersuchten Gruppen. Damit wird sichergestellt, dass keiner der Akteure (Probanden, behandelnde Mediziner und Auswerter) die Zusammenstellung der Gruppen und somit die Studienergebnisse beinflussen kann. Der grösste Nutzen dabei ist, dass bekannte und unbekannte Eigenschaften der Probanden, welche Einfluss auf die untersuchte Anwendung haben, zufällig und nicht entsprechend dem gewünschten Resultat verteilt werden.

2. Kontrolle: Vergleich der Ergebnisse einer Experimentalgruppe mit den Ergebnissen einer Kontrollgruppe. In Medikamentenstudien erhält die Experimentalgruppe das zu untersuchende Präparat (Verum), die Kontrollgruppe ein Scheinarzneimittel (Placebo). Parallel dazu erhalten beide Gruppen eine vergleichbare Behandlung (Standardtherapie), um möglichst alle Kontextparameter identisch zu gestalten. Bei der Untersuchung therapeutischer Interventionen führt die Experimentalgruppe die zu untersuchende Intervention durch, die Kontrollgruppe keine.

3. Verblindung: Die Information darüber, welcher Proband welcher Gruppe zugeordnet wurde, steht unter Verschluss. Qualitativ werden drei Stufen von Verblindung unterschieden:

  • einfachblind: Die Probanden wissen nicht, ob sie in der Experimentalgruppe oder der Kontrollgruppe sind.
  • doppelblind: Weder die Probanden noch die behandelnden Mediziner wissen wer in welcher Gruppe ist.
  • dreifachblind: Keiner der beteiligten Akteure (Proband, behandelnder Mediziner und Auswerter) weiss, wer in welcher Gruppe ist.

Eine dreifachblinde Studie stellt das Optimum dar, ist aber nicht in allen Fällen möglich. Bei der Untersuchung einer physiotherapeutischen Behandlung beispielsweise ist auch die einfache Verblindung nicht möglich, da die Probanden an der Behandlung aktiv teilnehmen.

4. Registration: Eine Studie, welche eine Korrelation untersucht, muss zuvor in mindestens einem der zwölf Journals des ICMJE (International Committee of Medical Journal Editors) angemeldet werden. Damit soll verhindert werden, dass eine Forschungsgruppe eine Untersuchung mehrmals durchführt und nur jene mit erwünschtem Resultat veröffentlicht . Die obligatorische Registration wurde von ICMJE bereits 2005 eingeführt. Viele Forschungsgruppen setzen diese Forderung jedoch noch nicht konsequent um.

5. Anzahl Probanden: Eine grosse Anzahl Versuchspersonen (grosses Sample) erlaubt, Informationen mit statistischer Relevanz zu erhalten. Beim Vergleich zweier qualitativ und inhaltlich vergleichbarer Studien ist in jedem Fall jene mit dem grösseren Sample stärker zu gewichten, da in dieser personenabhängige Faktoren die Resultate statistisch gesehen weniger stark beeinflussen.

Diese fünf Grundpfeiler eines RCTs stellen das Optimum evidenzbasierter Medizin dar. Es gilt in jedem Fall spezifisch zu entscheiden, welche Kriterien anwendbar sind und wie sie gewichtet werden.

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