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Wer wagt den Blick in die Finsternis?

on April 19. 2013

Sie erhalten die Nummern 2, 4 und 6 mit der Aufgabe, die Regelhaftigkeit der Abfolge herauszufinden. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Regel mit weiteren Tripeln zu testen, solange bis Sie sich der Regel sicher sind. Notieren Sie welche Regel Sie vermuten und mit welchen Tripeln Sie diese Vermutung testen würden, bevor Sie weiterlesen.

Finsternis

Stellen wir uns vor, jemand gibt folgende Tripel zur Testung mit den entsprechenden Resultaten:

Führt die von Ihnen vermutete Regel zu den selben Resultaten? Was denken Sie: Welche Regel gibt diese Person zur Antwort? Bleiben Sie bei Ihrer Vermutung?

Die beschriebene Aufgabe nennt sich die 2-4-6-Aufgabe. Sie wurde von Peter Cathcart Wason, einem experimentellen Forscher im Gebiet der Denkpsychologie, als klassisches Experiment zur Prüfung von systematischen Fehlern durchgeführt. Seit der ersten Durchführung im Jahr 1960 geben Testpersonen ihre Antworten zwar mit viel Überzeugung ab, aber nur jeweils rund 20% eruieren die korrekte Regel innert nützlicher Frist.

Mit der ursprünglichen Folge 2; 4; 6 sind, neben unbestimmt vielen weiteren, die beiden Regeln
x; (x+2); (x+4) und x; (2x); (3x) denkbar. Das erste Test-Tripel aus dem Beispiel bestätigt die erste, widerlegt aber die zweite Regel. Das zweite Test-Tripel liefert gegensätzliche Resultate. Somit sind beide Regeln nicht zutreffend, weil sie sich gegenseitig ausschliessen, wenn x durch eine beliebige natürliche Zahl ersetzt werden kann und nicht ausschliesslich gilt, dass x = 2. Zwei Vermutungen zu haben, hat uns in diesem Fall vor einer voreiligen Antwort bewahrt.

Wir sehen nur die Hälfte der Welt.

Bisher haben wir unsere Vermutungen nur verifizierend (positiv) getestet, auch wenn dadurch indirekt andere Regeln falsifizierend (negativ) getestet wurden. Um Zufallstreffer und voreilige Schlüsse zu verhindern und die eigene Vermutung aussagekräftig zu testen, müssen wir unsere Vermutung nicht nur mit bestätigenden, sondern auch mit widersprechenden Tripeln testen. Stehen uns zwei Regeln zur Auswahl, von denen eine zutrifft und die andere nicht, und erhalten wir auf einen bestätigenden Test ein positives Resultat, so schliessen wir ohne weitere Tests zurecht, dass diese Regel zutrifft. So dürfen wir im Normalfall aber nicht vorgehen, da wir eine unbestimmte Anzahl möglicher Regeln haben. Denn wir können uns nicht absolut sicher sein, dass unsere Vermutung die einzige Regel ist, die auf das gegebene Tripel zutrifft. Wenn wir uns sicher wären, müssten wir unsere Vermutung ja überhaupt nicht testen, schon gar nicht mehrmals. Dasselbe gilt auch, wenn wir mehrere Vermutungen haben.

Die Selection Task ist ein weiteres Experiment, welches zeigt, wie Menschen dazu tendieren, eine Regel bestätigend zu prüfen, auch wenn dies nicht sinnvoll ist. Vier Karten mit den Markierungen 3, 8, rot und braun liegen vor Ihnen auf dem Tisch. Jede Karte hat auf der einen Seite eine Zahl, auf der anderen Seite eine Farbe. Indem Sie möglichst wenige Karten umdrehen, sollen Sie herausfinden, ob folgende Regel zutrifft: Wenn eine Karte auf einer Seite eine gerade Zahl hat, ist die andere Seite rot. Wie würden Sie vorgehen?

Sowohl 1966, wie auch 1993 konnten weniger als 10% die optimale Vorgehensweise identifizieren. Die Regel kann mit der Karte mit einer 8 verifizierend und mit der braunen Karte falsifizierend eindeutig geprüft werden. Die Karte mit einer 3 und die rote sind dafür irrelevant, weil es sich bei der Regel um einen Konditional handelt.

Das Potential von negativen Tests liegt vor allem darin, dass wir sie viel „kreativer“ gestalten können als positive Tests. Gäben wir beispielsweise das Dreierset 4; 19; 20 als Gegenbeispiel zur ersten Regel x; (x+2); (x+4) und 78; 183; 291 als Gegenbeispiel zur zweiten Regel x; (2x); (3x) zur Prüfung, kriegten wir in beiden Fällen ein positives Resultat. Diese Resultate würden uns zeigen, dass der Rechenvorgang von der ersten Zahl zur zweiten noch nicht einmal dem Rechenvorgang von der zweiten Zahl zur dritten entspricht. Und auch zwischen den beiden Dreiersets lässt sich keine offensichtliche Verbindung feststellen. Wir haben also entweder zu wenig Information, um die Rechenfolge zu eruieren, die sich über mehr als drei Stellen erstreckt (wie beispielsweise beim Anfang der Fibonacci-Folge), oder die Antwort ist viel simpler als wir denken.

Die Tendenz, Hypothesen nur positiv zu prüfen, nennt man Positive Bias. In manchen Fällen ist der Positive Bias eine Form des Confirmation Bias. Anders als diesem liegt ihm aber nicht die Tendenz zugrunde, neue Informationen so auszuwerten, dass sie die eigenen Überzeugungen stützen. Er besteht eher in einer Aufmerksamkeitsnachlässigkeit. Wir betrachten nur den bestätigenden, positiven Bereich und vernachlässigen es, den negativen auch zu berücksichtigen.

Wir sollten uns darum bemühen, den negativen Bereich zu berücksichten, also auch in die Dunkelheit zu sehen. Dann schneiden wir auch in der 2-4-6-Aufgabe besser ab.

Quellenangabe
Yudkowsky, E. (2007). Positive Bias: Look Into the Dark. Übersetzt und erweitert von A. Abdulkadir. LessWrong (19.4.2013)