Illusion der Transparenz: Warum Sie niemand versteht – Teil 1
Sobald wir die Antwort auf eine Frage kennen, glauben wir, dass diese Antwort offensichtlich und vorhersagbar war. Dieses Phänomen wird auch Hindsight Bias genannt. Selbst wenn wir gewarnt werden, können wir unser Wissen nicht ausblenden, um uns vollständig in Menschen hineinzuversetzen, die nicht wissen was wir wissen.
Eng damit verwandt ist die Illusion der Transparenz. Wir wissen immer, was wir mit unseren Worten meinen und erwarten deshalb, dass dies Andere auch tun. Lesen wir unsere eigenen Texte, ist uns deren Bedeutung und Botschaft schnell klar, da wir ja wissen was wir mitteilen wollen. Es fällt uns jedoch schwer uns in eine andere Person hineinzuversetzen, die sich bei der Interpretation der geschriebenen Worte nur an der eigenen Denkweise orientieren kann.
Zur Illusion der Transparenz gibt es so manch erhellendes Experiment. Keysar (1994) beispielsweise legte zwei Gruppen von Probanden jeweils Version A oder B des folgenden Szenarios vor: June empfiehlt Mark ein Restaurant; Mark isst dort und entdeckt (A) unscheinbares Essen und einen mittelmässigen Service oder (B) leckeres Essen und einen einwandfreien Service. Dann hinterlässt Mark die folgende Nachricht auf Junes Anrufbeantworter: „June, ich war gerade in dem Restaurant, das du mir empfohlen hast und ich muss sagen, es war fabelhaft, einfach fabelhaft.“ Von denjenigen Probanden, denen Szenario A präsentiert wurde, dachten 59%, dass Marks Nachricht sarkastisch war und dass June den Sarkasmus bemerken würde. Aber nur 3% aller Probanden denen Szenario B vorgelegt wurde, vermuteten, dass June Marks Nachricht als sarkastisch auffassen würde. Und dies, obwohl beiden Probandengruppen dieselbe Nachricht präsentiert wurde.
Pronin et al. (2002) berichten von einem weiteren aufschlussreichen Experiment. Hier wurde den Probanden zufällig eine der beiden folgenden Rollen zugewiesen: „Klopfer“ oder „Zuhörer“. Jedem Klopfer wurden 25 bekannte Lieder zur Auswahl gestellt, von denen er sich eines aussuchen und den Rhythmus desselben einem Zuhörer vorklopfen musste. Daraufhin sollten die Klopfer angeben, für wie wahrscheinlich sie es erachten, dass die Zuhörer das Lied korrekt identifizieren. Im Durchschnitt glaubten die Klopfer, dass die Zuhörer in 50% aller Fälle das Lied erkennen würden. Tatsächlich lag die Erfolgsquote der Zuhörer jedoch nur bei 3%. Eine nachfolgende Befragung ergab, dass die Klopfer vor allem Unachtsamkeit und mangelnde Anstrengung der Zuhörer als Grund für deren Misserfolge sahen. Dass die Aufgabe tatsächlich schwierig war und sie selbst nicht besser abgeschnitten hätten, kam den Klopfern nicht in den Sinn.
Die Illusion der Transparenz ist nicht nur eine interessante kognitive Verzerrung, sondern hat auch die Weltgeschichte entscheidend beeinflusst, oft mit gravierenden Folgen. Wie Keysar und Barr (2002) beispielsweise bemerken, versendete Chamberlain zwei Tage vor dem Angriff Deutschlands auf Polen einen Brief, um klarzustellen, dass Grossbritannien im Falle einer Invasion eingreifen würde. Der höflich und diplomatisch verfasste Brief wurde von Hitler als versöhnlich aufgenommen – und die Panzer rollten.
Hüten Sie sich also davor den Fehler zuerst bei denen zu suchen, die Ihre scheinbar unmissverständlichen Äußerungen nicht verstanden haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind Ihre Worte nicht so eindeutig, wie Sie denken.
Serie: Warum Sie niemand versteht
Illusion der Transparenz
Inferentielle Entfernungen