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Breschen schlagen in die juristische Mensch/Tier-Mauer

GBS Schweiz on Dezember 12. 2013

Autor: Raffael Fasel

Die Kläger, in deren Namen letzte Woche an verschiedenen Bezirksgerichten im Bundesstaat New York Eingaben gemacht wurden, heissen Tommy, Kiko, Hercules und Leo. Dabei handelt es sich weder um Kinder mit eigenwilligen Vornamen, noch um Kleiderproduzenten, Übersetzungsdienstleister oder andere Unternehmen. Die Klagen, welche durch die amerikanische Organisation Nonhuman Rights Project (NhRP) eingereicht wurden, haben vielmehr zum Ziel, für vier Schimpansen mit eben diesen Vornamen zu erreichen, dass ein Gericht ihre Gefangenschaft als unrechtmässig erklärt und ihnen ein Recht auf körperliche Freiheit zugesteht. Zu ihrem eigenen Schutz sollen die Schimpansen nach Erlangung ihrer Freiheit im Reservat der North American Primate Sanctuary Alliance (NAPSA) aufgenommen werden.

Das juristische Instrument, dessen sich das NhRP in ihren Klagen bedient, ist die dem (angelsächsischen) Common Law eigene Habeas-Corpus-Klage, mit der verlangt werden kann, dass ein Gericht die Rechtmässigkeit einer Inhaftierung überprüft.

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Das Team um Steven Wise, der als langjähriger Anwalt und Dozent im Bereich Tierrechte tätig ist und das Nonhuman Rights Project leitet, argumentiert in den Klagen, dass Tommy und die anderen Schimpansen autonome Wesen seien und über ein komplexes emotionales Leben verfügten. Aufgrund dieser aussergewöhnlichen Eigenschaften ist die rechtliche Qualifizierung der Schimpansen als Sachen – wie in der Klageschrift geltend gemacht – als „irrational, unmoralisch, voreingenommen, ungerecht, illegitim und gefährlich“ anzusehen, weshalb sich auch ihre auf diesem Sachstatus beruhende Gefangenschaft als unzulässig erweist.

Um die in den Klagen gemachten Aussagen über die Fähigkeiten der Schimpansen zu stützen, berufen sich die Gerichtseingaben auf eine Reihe von Gutachten, die von bekannten Primatologen und anderen Experten für die vorliegenden Fälle erstellt wurden. In den Gutachten wird insbesondere dargelegt, dass Schimpansen dem Menschen vergleichbare Eigenschaften, wie zum Beispiel Selbstbestimmung, Autonomie, Selbstbewusstsein oder die Fähigkeit, in die Vergangenheit zu blicken und die Zukunft zu antizipieren, besitzen.

Gestützt auf diese Erkenntnisse machen die Anwälte des NhRP nebst ihrer Forderung auf ein Recht auf körperliche Freiheit für die Kläger ausserdem geltend, die Gefangenschaft der Schimpansen verletze das Common-Law-Prinzip der Gleichheit. Gemäss diesem Prinzip sind Diskriminierungen verboten, welche sich unzulässiger Mittel bedienen oder illegitime Zwecke verfolgen. Werden Personen gestützt auf solche unzulässigen Gründe ihres Rechts auf körperliche Freiheit beraubt, wird das Gleichheitsprinzip verletzt. Da in den vorliegenden Fällen die Schimpansen trotz ihrer mentalen und emotionalen Komplexität einzig aus dem Grunde gefangen gehalten werden, dass sie Tiere und nicht Menschen sind, liegt eine (speziesistische) Diskriminierung vor, die als unzureichender Grund für eine Gefangenschaft angesehen werden muss. Als Konsequenz hätten die Richter, die sich mit den Klagen beschäftigt haben, die Begehren der Kläger gutheissen und die Schimpansen befreien lassen sollen.

Abweisung der Klagen kommt nicht überraschend

Die New Yorker Richter, die sich mit den Klagen befassten, haben die Rechtspersönlichkeit der Schimpansen nicht anerkannt und die Anwendung des Habeas-Corpus-Grundsatzes auf Schimpansen verweigert. Obwohl sich einer der Richter des Bezirksgerichtes in Fulton als Tierfreund geäussert hat, der die wertvolle Arbeit des NhRP schätze, hat auch er die Klage abgewiesen. Ein anderer Richter vom Bezirksgericht Niagara, der mit dem Fall Kiko beschäftigt war, liess durchblicken, dass er nicht der Erste sein wolle, der den Schritt wage und Schimpansen als Rechtspersonen anerkenne.

Steven Wise und das NhRP geben angesichts dieser erwarteten Abweisungen nicht auf. Als nächsten Schritt planen sie die Anfechtung der Gerichtsurteile bei der nächsthöheren Instanz, wo sie sich bessere Chancen ausrechnen. Ziel des NhRP ist es darüber hinaus, landesweit mit einer Vielzahl von Klagen die rechtliche Anerkennung von Schimpansen und anderen Tieren zu fordern.

Schimpansen sind Rechtspersonen, nicht Menschen

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Um Missverständnissen vorzubeugen, muss dabei betont werden, dass das NhRP nicht beabsichtigt, für Schimpansen genau die gleichen Rechte zu fordern, wie Menschen sie haben. Idee ist es vielmehr, dass Schimpansen als Rechtspersonen anerkannt werden. Folglich ist gemäss der Klageschrift im Fall Tommy:

die Frage vor diesem Gericht [auch] nicht, ob Tommy ein menschliches Wesen ist – was er nicht ist –, sondern ob er, wie ein menschliches Wesen, eine ‚Rechtsperson’ ist, welche das Recht auf körperliche Freiheit besitzt, das durch die Habeas-Corpus-Klage des Common Law geschützt ist.

Entgegen den in jüngsten Medienberichten verbreiteten Aussagen würden den Schimpansen aus diesem Grund nicht Menschenrechte verliehen. Weil sie nicht Menschen sind, sondern Schimpansen, sollten sie vielmehr etwas erhalten, das man als „Schimpansenrechte“ bezeichnen könnte. Solche „Schimpansenrechte“ könnten indes in vielerlei Hinsicht grosse Ähnlichkeiten zu Menschenrechten haben, da Schimpansen viele zentrale Fähigkeiten und Eigenschaften mit uns Menschen teilen.

Habeas-Corpus-Klagen: Von Sklaven zu Tieren

Mit ihrem Bestreben, neue Habeas-Corpus-Klagen einzureichen und die bestehenden Fälle an die nächsthöhere Instanz weiterzuziehen, steht das NhRP in einer Tradition, die mit den ersten Klagen zur Abschaffung der Sklaverei ihren Anfang genommen hat.

Im Jahre 1772 gelang es Gegnern der Sklaverei in England erstmals, eine erfolgreiche Habeas-Corpus-Klage einzureichen, mit welcher vor Gericht überprüft wurde, ob die Gefangenschaft des afrikanischen Sklaven James Somerset und dessen rechtlicher Status als Eigentum rechtmässig sind. Lord Mansfield, der Richter, der sich mit diesem Fall zu befassen hatte, entschied, dass Somerset befreit werden müsse, da sich im Common Law keine Hinweise darauf finden liessen, dass sich die Sklaverei rechtfertigen lasse:

Der Stand der Sklaverei ist so beschaffen, dass er ungeeignet erscheint, aus irgendeinem moralischen oder politischen Grunde eingeführt zu werden; das kann nur durch das positive Gesetz geschehen, welches seine Wirkung noch lange behält, nachdem die Gründe, Umstände und Zeit selbst, die es geschaffen, aus dem Gedächtnis gerissen sind. Dieser Grund ist heute so gehässig, dass nichts als das positive Gesetz zu seiner Entschuldigung angeführt werden kann. Was immer für Nachteile sich also aus der Entscheidung ergeben: Ich kann nicht sagen, dass dieser Fall nach dem Gesetz von England erlaubt oder gerechtfertigt sei – der Schwarze muss somit befreit werden.

Sowohl vor als auch nach dem Fall Somerset wurden jedoch viele erfolglose Habeas-Corpus-Klagen angestrengt, die unter anderem mit Verweis auf die fehlende Rechtspersönlichkeit der betroffenen Sklaven abgewiesen wurden. Mit der Zeit hiessen nebst Lord Mansfield allerdings auch weitere Gerichte entsprechende Habeas-Corpus-Klagen gut und trugen damit zur schrittweisen Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Sklaven bei. Genau auf eine solche Serie von Klagen zielt das NhRP im Bereich der Tierrechte nun ab.

Schwertwale und der 13. Zusatzartikel

Die Klagen, welche letzte Woche vom NhRP eingereicht wurden, sind ausserdem nicht die ersten ihrer Art. Bereits im Jahre 2011 reichte PETA mit mehreren Walexperten vor einem amerikanischen Gericht eine Klage gegen SeaWorld ein. Das Ziel dieser Klage war es, das Gericht davon zu überzeugen, dass fünf in der Wildnis gefangenen Schwertwale, welche in Shows von SeaWorld auftreten mussten, als Sklaven gefangen gehalten wurden, was eine Verletzung des 13. Zusatzartikels der US-Verfassung darstelle.

Absatz 1 dieses 13. Zusatzartikels schreibt nämlich vor, dass weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit in den Vereinigten Staaten bestehen darf, ausser als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist. Da Absatz 1 mithin nicht explizit auf menschliche Personen oder eine andere, speziell bezeichnete Gruppe Bezug nimmt, machten PETA und die Walforscher geltend, dass die Schwertwale in Verletzung des 13. Zusatzartikels als Sklaven gehalten wurden und sie deshalb in die Freiheit bzw. in ein Schutzgebiet entlassen werden müssten.

Das zuständige Bundesgericht wies jedoch auch diesen Fall ab, nachdem es sich die Begründungen der Parteien angehört hatte. Der zuständige Richter begründete sein Urteil damit, dass der 13. Zusatzartikel nur auf menschliche Wesen anwendbar sei, da “Sklaverei” und “Zwangsdienstbarkeit” ausschliesslich menschliche Aktivitäten darstellen würden.

Wie PETAs Anwälte betonen, kann dieser Fall jedoch trotz Abweisung als Erfolg gewertet werden, da sich dabei zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten ein “Bundesgericht Argumente anhörte, ob lebende, atmende, fühlende Wesen Rechte haben und einzig deshalb eingesperrt werden dürfen, da sie nun einmal nicht als Menschen geboren wurden.”

Wie weiter in Civil-Law-Staaten?

Weil die Habeas-Corpus-Klage nur in Staaten des Common Law existiert, stellt sich für Tierrechtsbefürworter aus (kontinentaleuropäischen) Civil-Law-Staaten die Frage, welcher Instrumente sie sich bedienen können, um Tieren zur Erlangung ihrer Rechte zu verhelfen. Zwangsläufig werden sie sich dabei auf die bestehenden Verfassungen und Gesetze stützen müssen. Bisher werden Tieren jedoch in keinem Land der Welt in der Verfassung oder in Gesetzen Rechte zuerkannt. Nur in wenigen Ländern gab es bisher vereinzelte Tendenzen in diese Richtung, wie zum Beispiel in Neuseeland mit dem Verbot der Forschung an Menschenaffen im Jahre 1999 oder dem 2008 im spanischen Parlament debattierten, aber schliesslich nicht verabschiedeten, Gesetzesvorschlag, die Ziele des Great Ape Projects (das in Deutschland von der GBS vorangetrieben wird) zu fördern.

Um eine Änderung dieser ernüchternden Rechtslage zu bewirken, gilt es deshalb in erster Linie, ein grösseres Publikum für Tierrechte zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Zu diesem Zweck ist es besonders wichtig, auch die Zunft der JuristInnen in den Blick zu nehmen. Da es vor allem sie sind, die eine entscheidende Rolle bei der Auslegung und Weiterentwicklung des geltenden Rechts haben, ist es zentral, dass sie ihre speziesistischen Vorurteile ablegen.

Darüber hinaus könnte es lohnenswert sein, den vom NhRP aufgegriffenen Gleichheits- und Nichtdiskriminierungsgrundsatz einer tiefergreifenden Untersuchung zu unterziehen. Solche Grundsätze finden sich nämlich auch in den meisten Verfassungen und Gesetzen von Civil-Law-Ländern sowie in (verbindlichen und nicht-verbindlichen) internationalen Dokumenten. Diese Rechtstexte enthalten vielfach Aufzählungen von Diskriminierungsgründen (z.B. „Rasse“, „Geschlecht“ oder „Geburt“), welche nicht abschliessend sind und es folglich erlauben würden, den Diskriminierungsgrund „Spezies“ aufzunehmen. Vor allem Dokumente, die nicht explizit auf menschliche Gleichheit und Nichtdiskriminierung von Menschen Bezug nehmen, könnten dazu als Ansatzpunkt dienen.

Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass trotz solch grosszügiger Auslegungen bestehender rechtlicher Normen das positive Recht als solches grundsätzlich starr ist und – wie es Lord Mansfield vor 250 Jahren schrieb – seine Geltung behält, noch lange nachdem die Gründe und Umstände, die zu dessen Errichtung führten, aus der Erinnerung entschwunden sind. Wie für das NhRP mit seinen Klagen in den Vereinigten Staaten ist es deshalb auch für Verteidiger von Tierrechten diesseits des Atlantiks empfehlenswert, sich in Geduld zu üben und sich von anfänglichem Widerstand nicht entmutigen zu lassen.